Lyreco Mitarbeitende in der Pause

Führung in einer neuen Zeit – über Digital Leadership und psychologische Sicherheit

Wie gelingt es Führungskräften, trotz hybrider Arbeitsformen eine starke Unternehmenskultur aufzubauen und die emotionale Bindung der Mitarbeitenden ans Unternehmen zu festigen? Welche Leadership-Skills benötigen sie dafür? Heike Bruch, Professorin für Leadership an der Universität St. Gallen, gibt im Interview Auskunft.

Frau Bruch, Mut entsteht aus Vertrauen, wie man so schön sagt. Wie sehen Sie das?

Dem kann ich nur zustimmen. Mut erfordert sowohl Vertrauen in sich selbst als auch ins Umfeld. Wer mutig sein will, muss sicher sein, dass er keine Schwierigkeiten bekommt, wenn er einen Fehler macht.

 

Ihre Forschungsthemen sind Leadership, Energie und Engagement, gesunde Hochleistung, neue Führungs- und Arbeitsformen. Brauchen neue Arbeitsformen denn eine gänzlich andere Führung?

Die Führung ist ein wichtiger Erfolgsfaktor für New Work, und gewisse Aspekte der klassischen Führung sind hier tatsächlich hinderlich. Vor allem hierarchische Strukturen, Top-down-Ansätze, bürokratische Prozesse und autoritäre Führung sind problematisch. Deswegen lautet eine erste Empfehlung rund um das Thema New Work und Culture «Unbossing». Das bedeutet so viel wie, diese veraltete Form der Führung aktiv abzuschaffen.

 

Was beinhaltet eine «moderne Führung»?

Zum einen ist es eine «transformationale», das heisst eine inspirierende Führung, bei der man die Inspiration ins Zentrum stellt und die Mitarbeitenden für eine Vision begeistert. Arbeit soll einen höheren Sinn haben als «Geld verdienen». Dieses Konzept ist zwar nicht neu, gewinnt aber im Kontext von New Work an Bedeutung. Es wird zunehmend schwieriger, Mitarbeitende, die immer häufiger virtuell und viel eigenständiger arbeiten, emotional an das Unternehmen zu binden.

Gleichzeitig müssen Führungskräfte neu auch ein sehr breites Spektrum abdecken, das von höchster Effizienz bis hin zu sehr mutigen Innovationen verschiedene Arbeitsweisen oder -modi unterstützt. Wir nennen eine moderne Führung daher auch «multimodale Führung», weil sie zum einen ergebnisorientiert im Umsetzungsmodus, jedoch eher empowernd im explorativen Innovationsmodus sein muss. Bei Ersterem stehen Ergebnisse, Effizienz und fehlerfreies Arbeiten im Vordergrund, bei Zweiterem das Empowerment, die Förderung von Werte-Leadership, eine moderne Fehlerkultur und psychologische Sicherheit.

Wenn Führungskräfte glauben, alles im Griff zu haben, ist das in einer von Unsicherheit, Komplexität und unabsehbarer Dynamik gekennzeichneten Welt hinderlich.

Heike Bruch
Expertin für Leadership und Personalmanagement

Mit welchen Fragen müssen sich Führungskräfte auseinandersetzen?

An erster Stelle sollen Führungskräfte sich selbst führen und sich fragen, welche Werte ihnen wichtig sind. Für eine glaubhafte Führung ist es unentbehrlich, dass man den Menschen vermittelt, wofür man stehen möchte. Zudem geht es darum, eigene Prioritäten zu setzen. Führungskräfte sollen Themen definieren, zu denen sie beitragen möchten, und sich überlegen, wie sie ein Netzwerk aufbauen, aus dem sie Unterstützung erfahren und Feedback erhalten.

 

Welche Eigenschaften gewinnen bei Führungspersonen in Zeiten von Digital Leadership an Bedeutung?

Es sind vor allem zwei Arten von Kompetenzen. Das eine ist die Gestaltungskompetenz, die alles umfasst, was Führungskräfte beeinflussen, priorisieren und entscheiden können. Die andere Art nennen wir Adaptionskompetenz, also die Fähigkeit, mit Umständen umzugehen, die man nicht beeinflussen kann. Das bedeutet zum Beispiel, dass Führungskräfte lernen, sich abzugrenzen und mit Rückschlägen umzugehen. Es geht aber auch darum, eine Ambiguitätstoleranz zu entwickeln – es also auch aushalten können, wenn Dinge unsicher oder nicht stimmig sind. Entscheidend ist, dass Führungskräfte entscheiden können, was sie wirklich gestalten können und wo sie sich anpassen müssen. Wenn Führungskräfte glauben, alles im Griff zu haben, ist das in einer von Unsicherheit, Komplexität und unabsehbarer Dynamik gekennzeichneten Welt hinderlich.

 

Die Unternehmenskultur spielte schon immer eine wichtige Rolle für die Zufriedenheit und das Wohlbefinden der Mitarbeitenden. Weshalb ist das in Zeiten von New Work noch relevanter?

Je schneller, virtueller und willkürbehafteter die Umgebung ist, desto mehr brauchen Menschen einen verlässlichen Anker. Also etwas, womit sie sich identifizieren, wo sie sich zu Hause fühlen und ein Wir-Gefühl aufbauen können. Die Unternehmen mit einer starken Vertrauenskultur haben in der Regel während der Coronapandemie grosse Fortschritte gemacht. Sie nutzen die Vorteile der hybriden Arbeitsform, sodass es den Mitarbeitenden besser geht als vorher. Andere hingegen haben tiefgreifende Schäden erlitten. Die Mitarbeitenden sind emotional an die Erschöpfungsgrenze gekommen, fühlen sich zum Teil isoliert und allein. Das weichenstellende Element ist hierbei die Unternehmenskultur, also der Umgang, das Miteinander.

 

Unternehmen, die während Corona viele Wechsel hatten, empfehle ich zum Beispiel dringend, das emotionale Onboarding nachzuholen.

Heike Bruch
Expertin für Leadership und Personalmanagement

Wie können Führungskräfte eine starke Kultur aufbauen?

Unternehmen empfehle ich einen Dreischritt. Erstens sollten sie sich klar machen, warum sie modern arbeiten wollen. Zweitens müssen sie für das ganze Unternehmen Leitplanken aufstellen, zum Beispiel in Bezug auf Homeoffice. Bei den hybriden Arbeitsformen muss man sich bewusst machen, welches die Vorteile des virtuellen Arbeitens und der Präsenz sind, und die dann auch ganz gezielt nutzen. Drittens ist wichtig, dass die Teams entscheiden, wie ihre moderne Arbeitskultur innerhalb der Leitplanken aussieht. Wie wollen sie arbeiten, um gute Leistung zu erhalten und gleichzeitig auf die Bedürfnisse der Mitarbeitenden einzugehen? So kann man eine gute Kultur aufbauen.

 

Das Konzept der psychologischen Sicherheit ist nicht neu (Edmondson, 1999), doch gewinnt es bei den Transformationsprozessen in Unternehmen vermehrt an Relevanz. Wieso?

Weil wir in Zeiten der Transformation viel stärker im Explorationsmodus arbeiten müssen, also uns auf Experimente einlassen und Fehler machen müssen, um zu lernen. Das braucht Mut und Vertrauen und ein Klima der psychologischen Sicherheit.

 

Wie kann psychologische Sicherheit erreicht werden?

Psychologische Sicherheit entsteht dann, wenn es einer Führungskraft gelingt, eine Kultur des Vertrauens, der Wertschätzung und des Respekts zu schaffen.

 

Welche Probleme oder Gefahren kann eine digitale Unternehmenskultur nach sich ziehen? Und wie kann man sie verhindern?

Eine der grössten Gefahren ist, dass Unternehmen es versäumen, die Mitarbeitenden auch emotional abzuholen. Unternehmen, die während Corona viele Wechsel hatten, empfehle ich zum Beispiel dringend, das emotionale Onboarding nachzuholen. Das kann in Form einer Firmenfeier sein oder ein anderer Anlass, bei dem die Mitarbeitenden das Unternehmen vor Ort erleben. Im Idealfall ist auch eine Spasskomponente dabei!

Zur Person

Prof. Dr. Heike Bruch

Heike Bruch ist Professorin für Leadership und leitet seit 2001 das Institut für Führung und Personalmanagement der Universität St. Gallen. Sie berät Topführungskräfte in ganz Europa auf den Gebieten Leadership, Energie und Kultur-Change. Für ihre wissenschaftlichen Leistungen wurde Heike Bruch mehrfach ausgezeichnet, unter anderem 2021 erneut als führende Wissenschaftlerin in der Personalforschung im deutschsprachigen Raum. Sie gehört ausserdem zu den Top-100-Frauen der Schweiz. 

Prof. Dr. Heike Bruch, Expertin für Leadership und Personalmanagement